Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen der Coronakrise auf Unternehmen

Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen der Coronakrise auf Unternehmen

21. April 2020

I. Die ordentliche Generalversammlung

1. Durchführung ohne Präsenz der Aktionäre
Der Bundesrat hat die Situation in der Schweiz aufgrund der Coronakrise als «ausserordentliche Lage» eingestuft und gemäss der COVID-19-Verordnung 2 die Durchführung von privaten Veranstaltungen verboten (Artikel 6 Absatz 1). Dieses Verbot wurde zuletzt bis zum 10. Mai 2020 verlängert.

Gemäss Art. 6a der COVID-19-Verordnung 2 können Generalversammlungen auf zwei Arten durchgeführt werden. Entweder können die teilnehmenden Personen ihre Rechte auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form (lit. a) wahrnehmen, oder die Teilnehmer können ihre Rechte durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter (lit. b) ausüben. Diese Anordnung muss spätestens vier Tage vor der Durchführung der Generalversammlung schriftlich mitgeteilt oder elektronisch veröffentlicht werden. Gemäss Wortlaut der Verordnung muss bei dieser Anordnung die Einladungsfrist nicht eingehalten werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass für die Einladung der Generalversammlung die gesetzlichen und statutarischen Bestimmungen, insbesondere die Einladungsfrist zur GV, nicht eingehalten werden müssen.

Die Stimmabgabe mittels E-Mail ist nicht zulässig, da der «schriftliche Weg» nur auf dem Postweg oder mit qualifizierter elektronischer Signatur eingehalten werden kann.

Als «elektronische Form» gilt die Durchführung der Generalversammlung im Rahmen einer Telefon- und/oder Videokonferenz. Die Abgabe der Stimme mittels E-Mail ist wiederum nicht zulässig. Es ist sicherzustellen, dass die Teilnehmenden korrekt identifiziert werden und ihre Stimmrechte ausüben können. Zudem ist zu gewährleisten, dass alle teilnehmenden Personen die Voten der übrigen Teilnehmer hören können. Ein physisches Protokoll der Generalversammlung ist weiterhin zu erstellen.

Der Verwaltungsrat hat zwingend die physische Teilnahme folgender Personen zu beachten:

  • Vorsitzender
  • Protokollführer/Stimmenzähler
  • Gegebenenfalls der unabhängige Stimmrechtsvertreter
  • Gegebenenfalls der Vertreter der Revisionsstelle
  • Bei beurkundungspflichtigen Geschäften: Notar

Für die Teilnahme dieser Personen ist keine Ausnahmebewilligung durch die kantonale Behörde nach Art. 7 der Verordnung 2 einzuholen. Hingegen sind die Vorgaben des BAG betreffend Hygiene und sozialer Distanz einzuhalten.

2. Durchführung mit Präsenz
Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit, die Generalversammlung mit Präsenz durchzuführen, sofern vorgängig eine Ausnahmebewilligung der zuständigen kantonalen Stelle eingeholt wurde. Dabei hat die Gesellschaft ein Schutzkonzept mit folgenden Punkten vorzulegen (Art. 7 der Verordnung 2):

  • Massnahmen zum Ausschluss von Personen, die krank sind oder sich krank fühlen;
  • Massnahmen zum Schutz von besonders gefährdeten Personen;
  • Massnahmen zur Information der anwesenden Personen über allgemeine Schutzmassnahmen wie Händehygiene, Abstandhalten oder Husten- und Schnupfenhygiene;
  • Anpassungen der räumlichen Verhältnisse, sodass die Hygieneregeln des BAG eingehalten werden können.

Da neben dem Schutzkonzept auch ein überwiegendes öffentliches Interesse gegeben sein muss, ist von einer solchen Durchführung der Versammlung mit Präsenz abzuraten.

Sofern die Aktiengesellschaft nur einen Alleinaktionär kennt, fällt die Versammlung nicht unter das Versammlungsverbot und entsprechend kann die Generalversammlung mit Präsenz auch ohne Ausnahmebewilligung durchgeführt werden.

3. Zeitlicher Geltungsbereich
Der Veranstalter der Versammlung muss zwingend die in der Verordnung vorgegebene Frist einhalten. Dies bedeutet, dass die Einberufung der Versammlung bis zum 10. Mai 2020 stattfinden muss, hingegen die Versammlung selbst auch noch nach dem 10. Mai 2020 stattfinden kann.

Die durch die Coronakrise eingeführten Beschränkungen der Aktionärsrechte sind massiv. Deswegen ist es zu empfehlen, die Generalversammlung aufgrund des Ausnahmevorschriften spätestens innert 30 Tagen nach dem 10. Mai 2020 durchzuführen, um sich nicht dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auszusetzen. Ein längeres Zuwarten ist nicht zu empfehlen.

4. Verschiebung der Generalversammlung 2020 in die zweite Jahreshälfte
Bei der gesetzlichen Vorschrift, wonach der Verwaltungsrat die ordentliche Generalversammlung innerhalb von sechs Monaten nach Schluss des Geschäftsjahres einzuberufen hat, handelt es sich um eine blosse Ordnungsvorschrift. Im Falle der Überschreitung dieser Frist wird die Versammlung weder ungültig noch sind die gefassten Beschlüsse anfechtbar. Damit ist die Ansetzung der Generalversammmlung in die zweite Jahreshälfte grundsätzlich zulässig.

5. Durchführung von Verwaltungsratssitzungen
Die Ausnahmeregelung in der COVID-19-Verordnung 2 gilt ausdrücklich nur für Gesellschafterversammlungen, hingegen nicht für die Versammlung der anderen Organe. So sind beispielsweise Verwaltungsratssitzungen nicht davon umfasst, da diese bereits gemäss geltendem Recht (Art. 713 Abs. 2 OR für Aktiengesellschaften) keine Verpflichtung zur Präsenzveranstaltung haben. So kann eine Verwaltungsratssitzung auch mittels Zirkularbeschluss abgehalten werden, sofern kein Mitglied innert Frist die mündliche Beratung verlangt.

 

II. Deponierung der Bilanz bei Überschuldung

Der Bundesrat will Konkurse, welche aufgrund der Coronakrise zustande kommen, mit gezielten Massnahmen verhindern. Die entsprechende Verordnung (COVID-19-Verordnung Insolvenzrecht) trat am 20. April 2020 in Kraft.

Aufgrund von Art. 725 Abs. 2 des Obligationenrechts sind Unternehmen verpflichtet, bei einer drohenden Überschuldung unverzüglich das Konkursgericht zu benachrichtigen. Nach der neuen Regelung (Art. 1) können Unternehmen, die per Ende 2019 finanziell gesund waren und bei denen Aussicht besteht, dass die Überschuldung bis am 31. Dezember 2020 behoben wird, die Überschuldungsanzeige beim Gericht unterlassen.

Der Verwaltungsrat muss seinen Entscheid schriftlich begründen und entsprechend dokumentieren. Der Verwaltungsrat muss sich ein Bild von der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft machen und einen Zwischenabschluss zu Fortführungs- und Liquidationswerten erstellen. Die Prüfung dieser Zwischenbilanz durch einen Revisor kann gemäss der Verordnung jedoch unterbleiben.

Sofern der Verwaltungsrat gemäss der neuen Verordnung auf die Überschuldungsanzeige berechtigterweise verzichten darf, ist auch die Revisionsstelle von der Pflicht befreit, das Gericht zu benachrichtigen.

Sofern das Unternehmen im Rahmen der Coronakrise einen Notkredit bis CHF 500’000.00 aufgenommen hat, wird dieser Kredit im Zusammenhang mit der Berechnung eines Kapitalverlustes (Art. 725 Abs. 1 OR) bzw. für die Berechnung einer Überschuldung (Art. 725 Abs. 2 OR) bis am 31. März 2022 nicht als Fremdkapital berücksichtigt.

 

III. Liquiditätsengpässe bei KMU: Befristete Stundung

Neu gilt für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU), die wegen der Coronakrise in Liquiditätsengpässe geraten, eine befristete Stundung (sogenannte COVID-19-Stundung). Mit dieser Massnahme kann ohne die Vorlage eines konkreten Sanierungsplans sowie (im Regelfall) ohne die Einsetzung eines Sachwalters in einem raschen und unbürokratischen Verfahren eine vorübergehende Stundung von drei Monaten gewährt werden. Die Stundung kann auf Gesuch des Unternehmens einmalig um weitere drei Monate verlängert werden. Von der Stundung nicht erfasst werden bestimmte Arten von Gläubigern (Forderungen der ersten Konkursklasse), insbesondere sind Lohnfortzahlungen und Alimente weiterhin voraussetzungslos geschuldet.

Die Gesellschaft kann die COVID-19-Stundung einleiten, indem sie beim zuständigen Gericht ein entsprechendes Gesuch stellt und ihre Vermögenslage glaubhaft darlegt. Dem Gesuch sind entsprechende Unterlagen beizulegen (z.B. Bilanz und Erfolgsrechnung). Das Gericht entscheidet unverzüglich über die Stundung und publiziert die Stundung. Die Gesellschaft ist verpflichtet, Gläubiger schriftlich oder per E-Mail zu benachrichtigen.

Der Gesellschaft ist es nach der gewährten Stundung insbesondere untersagt, Forderungen, welche der Stundung unterliegen, zu bezahlen. Wird dies nicht eingehalten, so kann das Nachlassgericht von Amtes wegen den Konkurs eröffnen.

Die Stundung hat für die Gesellschaft den positiven Effekt, dass Gläubiger während der Stundung für ihre von der Stundung erfassten Forderungen keine Betreibung einleiten können bzw. bereits eingeleitete Betreibungen nicht fortgesetzt werden.

Ohne Ermächtigung des Nachlassgerichts darf während der Stundung kein Anlagevermögen veräussert oder belastet werden.

 

IV. Erweiterung der persönlichen Haftung der Organe

Zur Bewältigung der Coronakrise hat der Bundesrat mittels der COVID-19-Solidarbürgschaftsverordnung die Gewährung von Solidarbürgschaften mit erleichterten Voraussetzungen geregelt. Eine Bürgschaftsorganisation gewährt dabei formlos eine einmalige Solidarbürgschaft für Bankkredite in der Höhe von bis zu CHF 500’000.00 mit einem Zinssatz von 0,0%, sofern die Voraussetzungen gemäss Verordnung erfüllt sind.

Neu wird neben den strafrechtlichen Bestimmungen (Busse bis zu CHF 100’000.00) nun noch die Haftung der Organe in diesem Zusammenhang geregelt. Wird ein Kredit für einen nach Artikel 6 unzulässigen Zweck verwendet, so sind die Organe sowie alle mit der Geschäftsführung oder Liquidation der Darlehensnehmerin befassten Personen sowohl gegenüber den Gläubigern des Unternehmens, der kreditgebenden Bank, der Bürgschaftsorganisation sowie gegenüber dem Bund persönlich und solidarisch für den Schaden verantwortlich (Artikel 18a).

Nach Artikel 6 dient die Solidarbürgschaft ausschliesslich der Sicherstellung von Bankkrediten für die laufenden Liquiditätsbedürfnisse der gesuchstellenden Gesellschaft. Unzulässig ist insbesondere folgende Verwendung der mittels Solidarbürgschaft erhaltenen Mitteln:

  • Neue Investitionen der Gesellschaft ins Anlagevermögen, welche nicht Ersatzinvestitionen sind (Artikel 6 Abs. 2 lit. b);
  • Ausschüttung von Dividenden, Tantiemen und die Zurückerstattung von Kapitaleinlagen (Artikel 6 Abs. 3 lit. a);
  • Gewährung von Aktivdarlehen und die Refinanzierung von als Aktivdarlehen ausgestalteten Privat- und Aktionärsdarlehen (Artikel 6 Abs. 3 lit. b);
  • Rückführung von Gruppendarlehen;
  • Übertragung von den erhaltenen Mitteln an eine mit der gesuchstellenden Gesellschaft direkt oder indirekt verbundenen Gesellschaft, die ihren Sitz nicht in der Schweiz hat.

Um die Vorgaben der Mittelverwendung einzuhalten empfiehlt es sich, den erhaltenen Kredit über ein separates Konto laufen zu lassen.

-MLaw Armin Gilg, Rechtsanwalt und Notar

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